Event Pics - Tool im Hallenstadion (25.6.2019)
Kontrollfreaks vermitteln Freiheit
Tool sind ein Phänomen. Zum letzten Mal vor 13 Jahren im Hallenstadion, kein neues Album am Start, kaum Werbung - und trotzdem war die Halle voll. Zwar wurden vor dem Stadion noch einige Tickets feilgeboten (manche gar als Geschenk!), aber das „ausverkauft“-Feeling war da. Natürlich trug die Sommerhitze dazu bei, dass ein bisschen Luft zwischen den Menschen willkommen war.
Nach dem ersten Song, „Aenema“, sagte Sänger Maynard James Keenan einen halben Satz, danach lange nichts mehr. Es sprach nur die Musik. Unterstützt von den gewohnt kunstvollen, teilweise leicht verstörenden Visuals konnte man sich einfach den Klängen hingeben. Hart, komplex, progressiv, melodisch, hymnisch, rhythmisch, mystisch, hyptnotisch - so viele passende Worte und trotzdem gibt es eine Zusammenfassung: intensiv! Es mag Menschen geben, die Tool nicht verstehen (viele) oder auch überschätzt finden (einige), aber ihre Fans lieben sie für dieses Gefühl, das sie freisetzen. Ein Gefühl von Freiheit, dass man sich einfach verlieren kann, in den Melodien schwelgen, die Rhythmen feiern kann. Und das bei einer Band, die alles kontrolliert. Alles ist genau getaktet, programmiert, jeder Ton sitzt.
Die Kontrolle geht so weit, dass die Band verbat, zu filmen oder aufzunehmen. Das wurde per Mail mitgeteilt, auf Facebook gepostet und am Konzert über Lautsprecher angesagt. Gedroht wurde mit Konzert-Unterbrechung. Da waren Security-Menschen im Einsatz, die bei Zuwiderhandlung nicht lange fackelten und den Fehlbaren hinausbegleiteten - was oft einem Abführen, wie es Polizisten tun, gleichkam. Es mag ums Urheberrecht gehen. Aus künstlerischer (und perfektionistischer) Sicht verständlich, in der heutigen Zeit irgendwie antiquiert und diktatorisch. Wenn es jedoch darum gehen sollte, dass die Leute endlich wieder einmal einfach nur geniessen und ein Konzert nicht durchs Handy-Display Erleben sollen - dann Dankeschön! Durch ihren Kontrollzwang brachten Tool die Besucher dazu, sich wieder einmal der Musik hinzugeben, anstatt den nächsten Social-Media-Post zu planen.
Und es funktionierte. „Abgeführt“ wurden nur wenige. Dafür rundum Menschen, die sich frei bewegten, mit den Klängen mitgingen, genossen. Die Musik lebten.
Nach zehn Songs gab es eine Pause, die mit einem Countdown auf etwa 12 Minuten festgelegt war. Kurz ging es zurück ins normale Leben, auf eine Zigarette und/oder aufs Klo, an die Bar. Danach folgten noch drei Songs. Und vor dem letzten Song, „Stinkfist“, kamen doch noch ein paar Worte. Als „zweites Zuhause“ bezeichnete Keenan Zürich und bedankte sich. Ausserdem löste er das Filmverbot auf. Das liessen sich die Leute nicht zweimal sagen, filmten drauflos - und mögen doch ihre besten Erinnerungen im Herzen abgespeichert haben statt auf einer Festplatte. Und das ist auch Freiheit. Denn das kann Dir niemand nehmen.
Text & Bilder: Leandra Jordi