Event Pics - Iron Maiden im Hallenstadion (19.6.2023)
Somewhere in Happiness
Iron Maiden - schon wieder? Ja, die Briten kamen innerhalb eines Jahres erneut nach Zürich und begeisterten mit einer speziellen Setlist und ihrer gewohnten Spielfreude. Das fast ausverkaufte Hallenstadion feierte vor allem die älteren Hits in einer Weise, die vergessen liess, dass eigentlich Montag war.
Vorband einer Legende zu sein, ist ein zweischneidiges Schwert. Positiv: Man hat so viele Zuschauer wie sonst vielleicht nie. Negativ: Man darf meist nur einen kleinen Teil der Bühne bespielen und hat oft schlechten Sound. Da ist es ganz praktisch, wenn man gute Beziehungen zum Kopf der Hauptband pflegt. So ist es wohl auch zu erklären, dass The Raven Age (gegründet von einem gewissen George Harris, Sohn von Steve und Lorraine) nach 2016 einmal mehr mit Iron Maiden auf Tour sind. Jedenfalls hatten die „jungen“ Leute viel Platz auf der Bühne und klangen auch recht ordentlich. Daneben soll gar nicht vergessen werden, dass sie ihre Sache („modernen Briten-Metal“, eine „Mischung aus Groove Metal und Metalcore“) völlig zufriedenstellend machen. Besser als Lord Of The Lost letztes Jahr kamen sie auf jeden Fall an - wobei dies kein LOTL-Bashing sein soll, die haben einfach eine andere Zielgruppe (bekanntlich weder die ESC-Community noch Maiden-Fans).
Das Stadion füllt sich zusehends (mit knapp 13’000 Gästen ist es quasi ausverkauft) und bald kommt unübersehbar Vorfreude auf, viele Hände gehen in die Luft: Der UFO-Klassiker „Doctor Doctor“ kündigt das Happening an. Der Schreibkollege macht den Uhrenvergleich und notiert „20:53“. Und dann hat wohl selten ein erster Song so viel Stimmung entfacht, wie „Caught Somewhere in Time“ - obwohl noch niemand auf der Bühne ist. Vom Band-Sound geht es in den Band-Sound (zuerst deutsch, dann englisch) über und als Bruce Dickinson zum ersten Mal dazu auffordert, die Hände in die Höhe zu strecken, funktioniert das bis zuhinterst.
„Schwiiiitz, wie geits?“, fragt Bruce dann vor „Stranger in a Strange Land“, das ebenso abgefeiert wird, wie der Start. Dazu kommt erstmals Eddie auf die Bühne, natürlich riesig, aber leider scheint er etwas schüchtern oder desinteressiert. Wie auf dem damaligen Single-Cover ist er im „Western“-Kostüm unterwegs (inspiriert von Clint Eastwoods Figur in der „Dollars Trilogy“ von Filmregisseur Sergio Leone). Nach "The Writing on the Wall“ („Senjutsu“) sagt Bruce (selbstironisch?): „Oh, ihr seid noch da?“ Er fährt fort mit der Frage, wie viele Gigawatt es wohl brauchen würde, um einen DeLorean durch die Zeit zu bringen - bekanntlich sind es 1.21. Das sei aber nicht weiter wichtig, da sie einen Song zu diesem Thema geschrieben hätten: „The Time Machine“. Dieser ist wie der Song zuvor, „Days of Future Past“, vom aktuellen Album. Das merkt man auch daran, dass es nicht so abgeht, wie bei den alten Hits. So wird zum Beispiel der nachfolgende „The Prisoner“ (1982) so viel mehr abgefeiert, es bilden sich sogar kleine Moshpits in der Menge. Natürlich werden auch viele Handys gezückt.
Dieses Bild zieht sich durch. Vier der fünf „Senjutsu“-Songs sind in der ersten Hälfte untergekommen, von diesen sind die Refrains meist nicht so catchy wie bei den alten Heulern und das zeigt auch der Stimmungsbarometer. Mit „Can I Play with Madness“ wird dann das Fest aber erst recht eingeläutet. Es folgen „Heaven Can Wait“, „Alexander the Great“, „Fear of the Dark“ (Handy-Alarm!) und „Iron Maiden“, die mit Begeisterung aufgenommen werden.
Einige Menschen bemängeln, dass nicht so viel Show und Bewegung drin ist, wie auch schon. Fair enough, die Herren werden auch älter. Aber wir hatten zwei Eddie-Auftritte (das zweite mal im „Feuerwerk“-Duell mit Bruce), immer neue Backdrops (scheinbar von Hand gezogen) und ein Lichtkonzept wie den 1980er-Jahren, immerhin die absolute Hochzeit der Band. Dazu hat Bruce Dickinson sich immer mal wieder neue Mäntel übergezogen (bei der Hitze nicht zu unterschätzen) und ist auf der höher gelegenen Bühnenkonstruktion herumgerannt - ich meine, das ist völlig ausreichend. Aber ich verstehe alle, die mehr „Musical“-Show erwartet haben, für die halt diese Elemente eben vor allem Maiden ausmachen. Ich persönlich habe mich mehr über die wirklich toll zusammengestellte Setlist gefreut, die so viele Songs von dem genialen Album, „Somewhere in Time“ beinhaltet haben - mit fünf Titeln gleich viele wie auf der dazugehörigen Tour 1986/87. Ich habe von Menschen gehört, die ob „Alexander The Great“ (war damals und auch seither nie auf der Setlist) Tränen vergossen haben - was will man denn mehr?
Natürlich, sie hätten zum Beispiel statt „Dead of the Celts“, einem wirklich halbgaren, austauschbaren 10-Minuten-Song vom neuen Album, bei dem nur das Backdrop hübsch aussah, zum Beispiel „The Clansman“ spielen können: Immerhin geht es um eine ähnliche Thematik/Region. Ja, das ist auch eine mehr als halbgare „Analyse“, aber der Song hätte viel mehr Mitsing-Ooooohhhhhh-Potenzial gehabt; und ausserdem wäre ein Album mehr in der Auswahl vertreten gewesen. Ein paar zusätzliche Proben hätten vielleicht geholfen, die letzten Unsauberkeiten (zwei-drei mal schienen nicht alle im gleichen Takt zu sein) zu eliminieren. Aber was macht das schon, wenn so viele Menschen einfach nur eine herrliche Zeit hatten.
Die Zugabe beginnt mit dem neuen „Hell on Earth“, bei dem ordentlich Feuer-Alarm herrscht. Es folgen der obligatorische „The Trooper“ und das einmalige „Wasted Years“. Die Freude ist riesig. Aber dann ist es zu Ende. Und erst, als „Always Look on the Bright Side of Life“ läuft, wird klar, dass es heute tatsächlich weder „Run to the Hills“ noch „Number of the Beast“ geben wird - Wow!
Text: Leandra Jordi
Bilder: Tinu (www.metalfactory.ch) und Chris Walker (https://www.instagram.com/chriswalker.ch/) - tausend Dank!!!