Event Pics - Paradise Lost, Lacuna Coil und Katatonia im Kofmehl (13.11.2013)
Plüschherzen für die Shadowkings
"Verdammt noch mal, das ist doch kein Miley Cyrus Konzert hier!" schimpft Nick Holmes an seinem Mikrophon und schleudert das rosa Plüschherz genauso zurück ins Publikum wie den Plüsch-Hai und weitere Stoff-Acessoires in den Minuten zuvor. Auch wenn je nach bemühtem Klischee wohl eher weibliche Unterwäsche (Rock-Star) oder schwarze Rosen (Gothic-Metal-Sänger) nach dem Geschmack des Paradise Lost Frontmanns gewesen sein dürften, kann sich der blondbärtige Brite ein Grinsen und amüsiertes Kopfschütteln nicht verkneifen. Die ausgelassene Stimmung im Publikum ist natürlich auch im Sinne der Bands. Schliesslich hätte man auch schwarze Haartönung für die zumindest teilweise ergrauten Haare der britischen Gothic-Metal-Urgesteine auf die Bühne werfen können, die im schweizerischen Solothurn die Europa-Tour zum 25jährigen Bandjubiläum beendeten.
Begleitet wird das Quintett aus Halifax in England von den befreundeten Bands Lacuna Coil aus Italien und Katatonia aus Schweden. Letztere eröffneen den Konzertabend in der gut gefüllten Konzertfabrik Kofmehl. Offensichtlich hatten sich die Schweden um Frontmann Jonas Renske entschieden, auf den Geburtstag-Zug aufzuspringen und ihr 2003er Album "Viva Emptiness" zum zehnten Jahrestag in kompletter Länge zu spielen. Wohl hauptsächlich für jene eine interessante Erfahrung, die die schwedischen Melancholie-Rocker bereits öfters live erlebt haben. Manch einer dürfte sich hingegen eher eine abwechslungsreichere Setlist gewünscht haben, zumal die beiden letzten Studioalben "Dead End Kings" und "Night Is The New Day" sehr stimmig und dynamisch waren und vielen Anhängern gegenwärtiger gewesen sein dürften. Bei Dynamik und Stimmigkeit kann "Viva Emptiness" live gespielt nicht gänzlich überzeugen, jedenfalls nicht an diesem Abend. Ob es am nicht ganz satten Sound, der sehr statischen Performance oder schlicht an der Vorfreude der meisten Anwesenden auf den Hauptact des Abends liegt, bleibt unbeantwortet. Der Applaus für die Schweden hält sich jedenfalls von einigen Katatonia-Jüngern abgesehen in Grenzen und dürfte alles in allem mit dem Schlagwort 'höflich' treffend beschrieben sein. Daran ändert auch die Tatsache, daß die Band am Ende ihres Sets noch einige weitere Songs neben "Viva Emptiness" spielt und man Schlagzeuger Daniel Liljekvist direkt am Bühnenrand positioniert besonders gut beobachten kann, nicht mehr viel. Das sollte sich bei Lacuna Coil ändern.
Zudem muß man kein ignoranter Macho sein um festzustellen, daß die zierliche Sängerin Christina Scabbia in ihrer eng anliegenden, schwarzen Hose ein begeisternder Anblick ist als Katatonia-Sänger Renske im weinroten Schlabber-Longsleeve, dessen Gesicht die meiste Zeit hinter einem Vorhang aus seinen langen Haaren verborgen bleibt. Drittens, uns das dürfte wohl das schlagendste Argument sein, sind die Mailänder zweifelsfrei die kommerziell erfolgreichste der drei Bands des Abends. Die Italiener eröffnen ihre dynamische Performance mit 'Don't Believe In Tomorrow' vom aktuellen 2012er-Album "Dark Adrenaline". Dynamisch ist der ganze Auftritt nicht nur wegen der Bewegung auf und vor der Bühne oder dem stimmigen Erscheinungsbild, sondern vor allem aufgrund der Mischung aus Dark-Metal-Touch und Eingängkeit. Wobei die Bewegung auf der Bühne auch Raum für etwas Kritik bietet. Scabbias Gegenpart Andrea Ferros Moves erinnerten doch sehr an die bisweilen klischeebelastete Gestik von Hip-Hop oder Nu-Metal-Bands. Aber eigentlich sollte die Musik für sich selbst sprechen und der Doppel-Gesang ist nicht nur eines von Lacuna Coils Markenzeichen, sondern vor allem auch musikalisch interessant. Zwar wird diese Kombination wohl nie wieder so schaurig schön erklingen wie von den leider aufgelösten Theatre of Tragedy, aber in 'Kill The Light' überzeugen die Italiener auf ganzer Linie - vor allem wegen dem sich abwechselnden und überlagernden Gesang des Sänger-Duos. Wie auch immer: Was Katatonia leider vermissen liessen bringen Lacuna Coil mehr als nur etwas auf die Bühne: Bewegung. Die ist beispielsweise auch bei 'Our Truth' mit seinem orientalischen Einschlag zu beobachten. Die ganze Band nutzt den treibenden Beat zu munterem Headbanging und das Publikum zelebriert die Metal-Messe ebenfalls überwiegend mit den Nackenmuskeln. Bei der Lacuna-Coil-Hymne 'Heaven's A Lie' wird das mitfeiern sogar noch gesteigert. Kein Wunder, daß bei dem ohrwurmigen Refrain der Großteil des Publikums lauthals mitsingt und dem gewogenen Konzertbesucher einen weiteren Gänsehautmoment beschert. Am beeindruckendsten an dieser Band ist jedoch die kräftige Alt-Stimme der Sängerin, die Scabbia als Gast-Sängerin auf dem kürzlich erschienen Ayreon-Album unter Beweis stellte. So eine zierliche Person, aber was für eine Stimme! Die gesamte Band überzeugt jedoch mit einem gelungenen Auftritt, heizt die Stimmung ordentlich an und darf als Lohn zumindest während ihres Auftritts mehr Applaus und Jubel als der Hauptact des Abends für sich verbuchen.
Paradise Lost betritt um kurz vor 22 Uhr um 10 Minuten verspätet die Bühne und eröffnet mit 'Mortals Watch The Day' von "Shades Of God". Gitarrist und Hauptsongwriter Greg Mackintoshs langes, dunkles Haar ist zu Dreadlocks geflochten, Sänger Nick Holmes darf gleich beim ersten Song unter Beweis stellen, dass er den an die Death-Metal-Herkunft erinnernden Gesang aus den Anfangstagen noch beherrscht. Übrigens tut er dies später noch eindrucksvoller bei weiteren Songs. 'Rotting Misery' vom Debütalbum haben die Briten über 20 Jahre nicht mehr Live gespielt. 'Gothic' ist jener Song, der vemutlich für den Namen "Gothic-Metal" verantwortlich ist und ebenfalls noch eher von Screams und Growls geprägt ist. Direkt nach dem Opener kommt der erste Sprung durch die Bandgeschichte: 8 Jahre und die kommerziell erfolgreichsten Alben "Icon" und "Draconian Times" liegen zwischen 'Mortals Watch The Day' und dem elektronischen Synthie-Rock à la Depeche Mode von 'So Much Is Lost'. Und natürlich ein völliger Richtungswechsel bei Instrumentierung und Gesang. Die Keyboard-Samples kommen leider vom Band - schade dass keine der Bands einen Live-Keyboarder mitgebracht hat. Es folgt 'Remembrance' von "Icon", einer der wenigen Songs des Abends aus der vermutlich besten Phase der Band Mitte der 90er gemeinsam mit dem Hit 'Enchanment' von "Draconian Times". Nach charmant-britischen Dank für die Unterstützung der Band in den letzten Jahren folgt der Titelsong des vorletzten Albums "Faith Divides Us - Death Unites Us". Der Refrain, der einem noch stundenlang im Ohr liegt, erinnert stark an die Hochphase der Band, auch wenn die 15 Jahre davor lag. Nach dem langsamen 'Tragic Idol' bewegen sich die fünf Herren über 'Never For The Damned' und das treibende 'Isolate' zu 'Say Just Words' wieder rückwärts in der Bandgeschichte. Bis zu letzterem hat sich die Stimmung im Publikum langsam aber stetig gesteigert. Als Holmes der Menge das Mikrophon hinhält, singt der komplette vordere Teil des Saals mit:
"So say just words to me // unreal what your hate's providing // Say just words to me // your talk is always contradiction // Say just words to me."
Als die Herren nach Abschiedswinken, Klatschen in Richtung Publikum und ein paar 'Thank You's' ins Mikrophon die Bühne verlassen haben, reißt der Jubel und die 'Paradise Lost' - Rufe nicht ab. Lange bitten lassen sich die Helden des Abends nicht. Die Riesen-Projektion der teilweise animierten, jeweils zum Song passenden Alben-Cover im Hintergrund der Bühne kündigt einen Song vom Debüt-Album "Lost Paradise" an. Laut einem kürzlich veröffentlichten Interview ist die Entscheidung, 'Rotting Misery' ans Ende der Setliste zu setzen, vor allen Dingen der Schonung von Nick Holmes Stimme geschuldet. 1990 machten Paradise Lost noch doomig-langsam gespielten Death-Metal - was sich vor allen Dingen bei den Growls von Holmes zeigt. Der Blondbart hat es noch drauf, auch wenn er teils ziemlich angestrengt im Scheinwerferlicht dasteht und die Stimme gepresst klingt. Gut auch, dass eine Pause dazwischen lag, sonst wäre der Wechsel von dem für eine Gothic-Metal-Band fast hymnisch-launige 'Say Just Words' zum Death-Doom-Killer 'Rotting Misery' wohl für den einen oder anderen Ästheten zu viel gewesen. Vielleicht, um genau jene zu versöhnen, vielleicht um den Stimmbändern des Frontmanns eine Auszeit zu gönnen, folgt das deutlich leichter verdauliche 'One Second' vom gleichnamigen Album. Am Bühnenrand haben sich es sich etliche feiernde Fans mit einer Kiste Bier gemütlich gemacht und stossen auf das Wohl der Band an. Einer lehnt entspannt am Bühnenrand und hat neben seiner Bierflasche einen Plüschhai neben Holmes Monitor-Box abgestellt. Der ist zunächst verärgert: "Benutzt meine Bühne nicht als Bar, Leute und macht den Hai da weg - der macht mir Angst." Als weitere Plüschtiere fliegen, muss nicht nur Holmes grinsen, auch wenn er das Stoffzeug wieder zurück ins Publikum bugsiert. Nach 'True Belief' und 'Over The Madness' endet nicht nur der Konzertabend, sondern die ganze Tragic-Illusion-Jubiläumstour.
Die Stimmung ist gut, vor allem im letzten Drittel des Abschlusskonzerts, und dies dürfte nicht alleine dem Alkoholpegel im Publikum zu verdanken sein. Mit einem gelungenen Querschnitt durch die gesamte Bandgeschichte (tatsächlich mit mindestens einem Song von fast jedem Album) haben Paradise Lost die Erwartungen der meisten an eine Setliste zum 25. Bandgeburtstag engagiert erfüllt. Die Dauer von rund 75 Minuten hätte etwas länger und der Sound noch etwas satter sein dürfen. Grund zu klagen gibt es aber auch keinen. Paradise Lost sind und bleiben eine absolut eigenständige, stilprägende Band, die ihre Ups & Downs hatte. Unbeirrt haben sie ihr Ding gemacht, vier dicke Freunde, denen man nach 25 Jahren vielleicht mehr denn je anmerkt, dass es um die Musik geht. Und um die Freundschaft. Hut ab vor so viel Bodenständigkeit. Die Geschichte von Paradise Lost wird weitergehen. Der Nachfolger zu "Tragic Idol" ist in Arbeit.
Setliste Paradise Lost, (CH-Solothurn, Kofmehl, 13.November 2013)
Mortals Watch the Day
So Much Is Lost
Remembrance
Gothic
Enchantment
Faith Divides Us - Death Unites Us
Tragic Idol
Never for the Damned
Isolate
Say Just Words
Zugabe:
Rotting Misery
One Second
True Belief
Over the Madness
Text: Daniel Frick
Fotos: Daniel Strub